#actout

Bettina Hoppe über #actout

Achtung: In diesem Text wird statt des Wortes 'man' das Wort 'maus' verwendet. Weil ich das schöner finde. Und als Übung in Sachen Diversity und Geschlechtergerechtigkeit. Nix man oder frau. Sondern maus.

 

Liebes Publikum,

gerade passiert nichts Umwerfendes an unserem Theater. Ab und zu sieht sich unser Ensemble per Video-Konferenz und wir spekulieren darüber, wann und unter welchen Bedingungen wir uns wohl wieder mal dreidimensional begegnen werden. 
Diese Bühnenstille fühlt sich an, als säße maus immer noch in der Badewanne, obwohl das Wasser längst abgelassen ist. Der Sog war immer stärker geworden, der Wasserspiegel immer tiefer gesunken, ehe der letzte Strudel Wasser mit einem kurzen, monsterhaften Glucksen im Untergrund verschwand. Seitdem sitzen wir auf dem Trockenen und frieren. Langsam wird es kalt auf der nassen Haut, aber maus weiß auch nicht so richtig, wohin maus gehen soll und bleibt einfach sitzen.
Die Sehnsucht nach körperlicher Begegnung und Berührung führte bereits zur Erwägung einer neuen Form von Beschaffungskriminalität. So wurde zum Beispiel vorgeschlagen, maus könne sich bei Dunkelheit ungetestet und ohne Mundschutz im Tiergarten zu einer dreiminütigen Umarmungsorgie treffen. Natürlich hat maus sich besonnen und das nicht getan. 

In dieser dunklen und unsinnlichen Zeit, in der man, nein MAUS, unentwegt auf seinen Computer einhackt, ist etwas Wunderbares, ganz Großartiges passiert: #actout.

Das SZ-Magazin zeigte am 5. Februar auf seinem Cover und auf drei weiteren Seiten insgesamt 185 Fotos von Menschen, die alle so aussehen, dass ich mich auch mit ihnen gerne zum Umarmen treffen will, so lässig, offen und sympathisch, wie sie da aus dem Magazin herausschauen. Viele von ihnen kennen Sie und ich persönlich.
Sie alle sind Schauspieler:innen und outen sich in diesem nach wenigen Stunden vergriffenen SZ-Magazin als lesbisch, schwul, transgender, queer, non-binär oder intersexuell. Drei von den Gesichtern gehören zu Ensemblemitgliedern des BE. Eines zu mir. Alle 185 Schauspieler:innen haben ein Manifest unterzeichnet, das Sie hier lesen können.

 

"die Schauspieler:innen fordern, dass die Narrative im deutschen Fernsehen und Film endlich mal die Gesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt und Diversität zeigen sollen"

 

Das dazugehörige Interview mit Tucké Royale, Karin Hanczewski, Godehard Giese, Eva Meckbach, Jonathan Berlin und Mehmet Ateşçi über Diversität und Gerechtigkeit in der Film- und Fernsehbranche ist so differenziert, offen, aufschlussreich und richtungsweisend, dass ich die Hoffnung habe, alle Menschen aus der Branche legen es sich unters Kopfkissen und schlafen da mal drüber. Darin fordern diese Schauspieler:innen, dass die Narrative im deutschen Fernsehen und Film endlich mal die Gesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt und Diversität zeigen sollen. (Elisabeth Prommer, die Direktorin des Instituts für Medienforschung der Universität Rostock, hat sich die Mühe gemacht, 11000 deutsche Film- und Fernsehformate nach nicht-heterosexuellen Rollen zu suchen und fand fünf.)
 
Sie wagen die steile These, dass schon lange keine Zuschauer:innen mehr vom Hocker fallen, wenn sie erfahren, dass diese oder jene Schauspieler:innen als Privatpersonen sexuell eine andere Identität oder Orientierung haben als die Figur, die sie gerade spielen.
Sie machen bewusst, dass es geradezu anachronistisch anmutet, wenn Produzent:innen meinen, das queere Privatleben von Schauspieler:innen müsse zwecks Illusionsschutz weiterhin vor dem heteronormativen Zuschauer-Mainstream verheimlicht werden.
Die Reihe an bekannten, arrivierten nicht-heteronormativen Schauspieler:innen, die angefragt wurden, aber abgelehnt hatten an der Aktion mitzumachen, zeigt, dass diese angstgesteuerte Annahme immer noch eine enorme Wirkmacht hat.
Die Interviewten machen klar, dass vor allem das öffentlich-rechtliche Fernsehen eine Verantwortung hat, dafür zu sorgen, dass sich in den angebotenen Fiktionen nicht nur die Mehrheiten, sondern auch die Minderheiten wiederfinden – nicht nur als behandelte, oftmals klischierte Farbe am Rand, sondern auch als handelndes Zentrum der Geschichte.

Als ich Gymnasiastin war, gab es in meiner Schule unter etwa 900 Schüler:innen zwei von denen ich wusste, dass sie so fühlten wie ich. Wie sich viele Jahre später rausstellte, waren es sehr viel mehr gewesen. Hätten alle von ihnen damals schon ein Selbstverständnis im Umgang mit ihrer sexuellen Orientierung gehabt, hätte sich meine Homosexualität für mich nicht so aussichtslos angefühlt. Ich hätte nicht das Gefühl gehabt, ich muss die Nadel im Heuhaufen finden, um eine glückliche Beziehung führen zu können.
Was hätte es mir als Jugendliche bedeutet, irgendeine Frauenfigur im Film zu sehen, die mit der gleichen Selbstverständlichkeit homosexuell ist, wie die Mehrheit hetero! Die Tatsache, dass die Heteros in der Mehrzahl sind, bedeutet nicht, dass es für alle anderen keine Selbstverständlichkeit geben kann und muss. Ich habe mir in Ermangelung von Vorbildern, Identifikationsfiguren und Schwärmen dieses Selbstverständnis mühsam selbst erarbeitet.
Als 2004 die US-amerikanische Serie "The L word – Wenn Frauen Frauen lieben" herauskam, war ich bereits dreißig. Die Serie hat mich endlich entschädigt für all die Bilder und Geschichten, die ich so lange ersehnt und entbehrt hatte. Da waren sie endlich: gut aussehende, intelligente, lustige, multi-dimensionale Frauen, die Frauen lieben, tolle Sachen miteinander machen, aufregende Berufe haben, Freunde, Familie – ein gutes Leben eben.

 

"jeder Mensch, der sich da zeigt und outet, überschreibt mit seiner Individualität ein Stück Klischee"

 

Auf der Bühne sieht die Situation hinsichtlich der Identifikationsmöglichkeiten nicht-heteronormativer Menschen mit den Figuren, die da gespielt werden, nicht besser aus. Ich zum Beispiel habe in 26 Jahren Theaterspielen 49 Rollen gespielt. Darunter 40 heterosexuelle Frauen, drei heterosexuelle Männer, einen homosexuellen Mann, drei homosexuelle Frauen. Alle drei waren klischeehaft geschrieben. Das Klischee von der Bühnenlesbe ist ein schaler Cocktail aus Bitterkeit, Einsamkeit und hoffnungslosem bis verzweifeltem Begehren. Bis heute ist mir keine lesbische Bühnenfigur begegnet, die das Zeug zur Identifikation oder gar Inspiration gehabt hätte. Das letzte und niederschmetterndste Lesben-Exemplar spielte ich erst kürzlich in dem Stück "Der letzte Gast" von Arpad Schilling: eine karrieristische, einsame, junge Frau, die um die Liebe ihrer Mutter kämpft, welche sich aber mehr für einen gerade aus dem Nichts aufgetauchten fremden, jungen Mann interessiert, auf den die Tochter dann sehr eifersüchtig ist. Eine der undankbarsten Rollen, die maus sich vorstellen kann und ein Klischeebild, das so schief ist, dass maus von der Bühne fallen müsste.

Täglich schaue ich mir auf Instagram neue Bilder von queeren Lehrer:innen an, die sich gerade – inspiriert von #actout – geoutet haben und denke: jeder Mensch, der sich da zeigt und outet, überschreibt mit seiner Individualität ein Stück Klischee.
Das macht mich glücklich.

Jetzt müssen nur wir als Theater auch noch diverser und gerechter werden und Figuren zeigen, die nicht nur der hetero-normativen Mehrheit entsprechen.

Lassen Sie uns drüber reden, per Zoom oder von Trockenbadewanne zu Trockenbadewanne oder auch mundschutzfrei in den verwaisten Straßen von Berlin.
Bald kommt der nächste BE Walk. Da bin ich auf jeden Fall dabei, und das Thema steht hiermit auch schon fest!

Mit herzlichen Grüßen an jedermaus!
Bettina Hoppe

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