In der Familie Zoller schwelen schon seit längerem Konflikte, als eines regnerischen Morgens ein alter Mann an ihre Tür im Schwarzwald klopft. Mit ihm tritt nicht nur die Vergangenheit, sondern auch ein anderer Kontinent ein: Der Besuch von Thomas Herg, der Martha, Hermann und Maria aus Afrika zu kennen behauptet, spült längst Verdrängtes und Verschwiegenes an die Oberfläche. Langsam, aber unbeirrbar, unterzieht er die Familie einem Ritual und legt so die Lügen der Vergangenheit offen: Anders als Martha behauptet, ist sie nicht die Schwester von Hermann und Maria und nicht die Tante von Kevin. Martha ist nicht die Tochter von Alexander Zoller, der eine Kakaoplantage im Kamerun betrieb, sondern war als junge Frau an ihn verkauft worden, um für ihn zu arbeiten. Als Thomas Herg die junge Martha auf der Plantage in Bafoussam sah und sich in sie verliebte, nahmen die Dinge ihren Lauf: In dem Feuer, das er legte, um Martha zu befreien, starb Zoller. Martha konnte Hermann und Maria, die kleinen Kinder ihres Herrn, retten, doch viele andere Menschen verloren in den Flammen ihr Leben.

Seitdem sind Jahrzehnte vergangen. Martha lebt als die Schwester von Hermann und Maria auf dem Anwesen der Zollers im Schwarzwald, als Thomas Herg erneut in ihr Leben tritt. Er konfrontiert sie und den Rest der Familie mit der Tatsache, dass er nie aufgehört hat, Martha zu lieben – und mit den Lügen, auf denen die Familie im Schwarzwald ihr Leben aufgebaut hat.

Dieudonné Niangouna hat mit "Phantom" ein Stück für fünf SchauspielerInnen des Berliner Ensembles geschrieben. In seinem Text thematisiert er die Verdrängung der deutschen Kolonialgeschichte. Nur durch die Konfrontation mit ebenso schmerzhaften wie komplexen Aspekten nationaler und individueller Vergangenheit kann ein wahrhaftiger und produktiver Entwurf für die Gegenwart und die Zukunft überhaupt erst entstehen.

Katja Hagedorn