Schwarzwasser“ ist laut Definition „häusliches Abwasser ohne Grauwasser mit fäkalen Feststoffen“, also das Abwasser aus Toiletten. Elfriede Jelinek arbeitet sich mit ihren Theatertexten – wie kaum eine andere zeitgenössische Theaterautorin – an politischen und gesellschaftlichen Ereignissen und Fragestellungen der Gegenwart ab. Die Autorin und Literaturnobelpreisträgerin (2004), deren Werk die politische Brisanz ihrer Themen und die ästhetische Sprengkraft ihrer Texte auszeichnet, hat mit dem Stück Schwarzwasser eine Abrechnung mit der österreichischen Politik nach der Ibiza-Affäre der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) geschrieben. Anhand des Skandals – ausgelöst durch die Veröffentlichung eines Videos, das eine sagenhafte Nacht auf Ibiza zwischen Heinz-Christian Strache (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Vizekanzler Österreichs), seinem Clubobmann Johann Gudenus (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Vizebürgermeister von Wien), dessen Frau Tatjana und einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte dokumentiert, in der Strache und sein Kumpan während eines langen Gelages den Reizen der Dame und der Korruption erliegen – entwirft Jelinek einen vielstimmigen Text über Gewalt, Machtmissbrauch, Macht und Ohnmacht. Den Diskurs regt Jelinek mit Rene Girards Das Heilige und die Gewalt an und mischt Motive aus Euripides Bakchen darunter und stellt damit die Täter-Opfer-Umkehr, als einen Grundpfeiler rechter Rhetorik aus.
Clara Topic-Matutin

Während Sie im Theater sitzen, sitzt er im Knast. Im achten Bezirk Wiens, in der Wickenburggasse. Nachdem Julian H. ein Jahr lang gejagt wurde, ist er im Dezember 2020 in Berlin Prenzlauer Berg festgenommen worden. Zwischen Latte Macchiato und kostenlosem WLAN. Jetzt: Kantinenessen, beschränkter Freigang auf dem Hof, kein Zugang zum Internet. Julian H. hatte ein Video an die Presse gegeben. Eines, das es in sich hatte und das als Ibiza-Video bekannt werden sollte. In dem Video wird deutlich, wie korrupt und faschistoid Teile der österreichischen Regierung agieren, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Julian H. ist der Mann, dem wir zu verdanken haben, dass die türkis-blaue Regierung Österreichs zurücktreten musste.
Dass sie gestürzt wurde, sagen manche. Gestürzt, durch ein paar kleine Kameras und die Worte Heinz-Christian Straches, dem ehemaligen Sportminister und Vize-Kanzler (der, der als junger Burschenschaftler den Hitlergruß zeigte). Julian H. schaffte eine perfekte Inszenierung, die Journalist:innen niemals wagen würden. Und Geheimdienste erst recht nicht, da es die eigene rechte Regierung gefährden würde. Durch eine hochprofessionelle Operation, dieses Julian H.s, dieses – ja, was ist er denn für einer? Ist er ein Held, der Auszeichnungen, Ehrungen und Medaillen verdient hat? Oder ist er ein Kleinkrimineller, dem endlich der Prozess gemacht werden sollte, weil er nicht in die Ahnengalerie der österreichischen Demokratiegeschichte gehört?

DREI MÄNNER UND DREI KOKSGESCHICHTEN
Dann ist da noch das Kokain. Der Stoff, der all diese Männer verbindet. Strache soll es über die eigene Security abgerechnet und damit aus der Parteikasse bezahlt haben. Doch nicht er sitzt hinter Gittern, sondern Julian H. Nicht wegen der Videos, sondern weil die Justiz versucht, ihm Kokainhandel nachzuweisen. Mit Hilfe eines Beschuldigten, der seine Aussage nach einem Jahr im Knast plötzlich änderte, Julian H. belastete – und seitdem mit Fußfessel gemütlich mit der Familie vor dem Fernseher sitzen kann. Und dann ist da noch dieser Kanzler Kurz. Von dem soll es ein Video in einem Club geben, dem „Dots“ oder vielleicht auch der „Pratersauna“, in dem er Kokain zieht. Jede Redaktion ist scharf auf dieses Video, es wurde viel Geld geboten, doch der angebliche Videobesitzer mauert. Drei Koksgeschichten – die bisher nicht belegt wurden – mit drei Männern. Und nur einer von ihnen sitzt dafür seit einem Jahr im Knast: Julian H.
Kokain ist es ein pulveriges Mittel der Erpressung: Wer schon mal gemeinsam gekokst hat, teilt ein Geheimnis: „Wenn das rauskommt, sind wir beide dran!“. Die gemeinsam begangene Amoralität ist der postmodern-unverbindliche Schmiss ohne Burschenschaftsgehabe. Und wenn es auch noch ein Video von der Party gibt, wird es zu politischem Kapital. Wo das deliberative Argument nicht mehr wirkt, killt Koks Karrieren.

ER RENNT IM ZICKZACK DAVON
Szenenwechsel: Kreuzberg, Reichenberger Straße. Der Fotograf Thabo Thindi ruft die Polizei, weil ihm zwei Männer Pfefferspray in die Augen sprühten. Als die Polizei eintrifft und Herr Thindi den Beamt:innen erklärt, was passiert ist, schlägt plötzlich einer der beiden Täter auf ihn ein. Herr Thindi sucht Hilfe bei einem der Polizisten. Doch statt ihm zu helfen, legt er ihm Handschellen an und drückt Thindi ins Polizeiauto. Sie würden ihn jetzt in den Wald fahren, sagen die Beamt:innen. Und fahren los.
Der Wagen hält auf einer verwahrlosten Baustelle, es ist dunkel. Die Polizist:innen legen Thindi auf den Boden, Handschellen auf dem Rücken. Er hört ein Klicken, dann sind seine Hände wieder frei. Er soll abhauen, sagen sie ihm, also rennt er im ZickZack davon. Nach einer Weile sieht er ein Licht am Horizont, es ist ein Hotel. Dort ruft er sich ein Taxi, das ihn nach Hause fährt. So erzählt Herr Thindi seine Geschichte. Thabo Thindi ist schwarz.
Warum jetzt diese Story? Dieser linke Whataboutism einer anderen Person? Weil auch Julian H. Gerechtigkeit wollte und dafür tief in die Scheiße gezogen wurde. Wir können oft auf unseren Rechtsstaat vertrauen, auf die Trennung von Legislative und Exekutive. Auf die gewissenhafte Untersuchung durch Polizeibeamt:innen und Staatsanwält:innen, die unbestechlich das Interesse des Volkes vertreten und auch vor einer Verfolgung der Mächtigen nicht zurückschrecken. Das funktioniert in Deutschland und in Österreich besser als in vielen anderen Staaten. Doch es funktioniert nicht immer, weder bei Thindi im Kleinen noch bei Julian H. auf oberer politischer Ebene. Es sind Einzelfälle einer Struktur, die meinungsanfällig ist. Man kann es auch einfach Korruption nennen – etwas, das Sie heute in dem Stück Schwarzwasser eindringlich nachvollziehen können.

IN ST. PÖLTEN HAT JULIAN H. KAUM NOCH EINE CHANCE
Es gibt Dynamiken, die bei Herrn Thindi Stimmen laut werden lassen: Man solle doch mal schauen, was für eine Vergangenheit er hat. Er könnte ein Krimineller sein, wer weiß das schon? Vielleicht finden wir bei ihm ein Krümel Gras oder Pillen oder Kokain? Oder vielleicht wollte er ja Taschen klauen oder er arbeitet für eine internationale Mafiabande – ja eine Mafiabande, das hat doch irgendwer gesagt! Stimmt aber nicht.
Dieselben Stimmen, die erst mal schauen wollen, ob Julian H. nicht vielleicht ein Kleinkrimineller sei. Angeheizt fast immer durch Männer, die sich gegenseitig schmieren, die Geheimnisse teilen und Mauern aus Gerüchten bauen. Die in diesem patriarchalen System zuhause sind. Die sich wie Sebastian Kurz wiederwählen lassen. Die es schafften, dass wir Julian H. nicht schützen, obwohl ihn vermutlich bis heute die gesamte Neonaziszene Österreichs aufknüpfen will. Ihn, der in eine historische Situation gestolpert ist und dadurch eine rechtsextreme Regierung zum Rücktritt gezwungen hat.
Wer sowas durchmacht, erlebt einen fundamentalen Umbruch im Leben – egal was man für eine Vergangenheit hat. Wer sowas wagt, verdient Schutz. Doch stattdessen soll Julian H. verlegt werden. Von Wien nach St.Pölten – in den Knast einer Stadt in Österreich, in der – wie manche sagen – die Chancen steigen, dass er verurteilt wird, egal wie dünn die Beweislage ist. Derweil regiert Kokskanzler Kurz weiter das Land.
Die Journalist:innen, die sein Video veröffentlichten, gewannen Preise und unterzeichneten Buchverträge, Sky und die Öffentlich-Rechtlichen warfen Drehbuchautor:innen Geld hinterher. Theater wie dieses verarbeiten die Korruptionsgeschichten einer rassistischen Gesellschaft. Nur Julian H. wurde für seine Arbeit nicht bezahlt.
Stattdessen sitzt er bis heute in U-Haft. Seine Verhandlung wird für September 2021 erwartet.
Um ihm eine gute Verteidigung zu ermöglichen, sollten Sie an folgendes Konto spenden – damit das korrupte patriarchale System dieses eine Mal nicht als Gewinner vom Platz geht. Finden Sie nicht auch?

Verwendungszweck: Streaming Gebühr Ibiza Video

Dr Wolfgang Auer, Spendenkonto
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