"Ich bin nicht, was ich bin"

"Ich bin nicht, was ich bin" lässt Shakespeare den Intriganten Jago sagen, und trifft damit ins Herz einer Debatte, die seit jeher um die Inszenierung von Shakespeares 1604 uraufgeführten Drama "Othello" kreist. Wie Othello spielen? Wie die komplexe Rolle des "Othello" besetzen?

Betrachtet man diese Fragen auf naturalistische Weise und besetzt Rollen authentisch-realistisch – Frauenfiguren mit Frauen, Männerfiguren mit Männern, People of Color (PoC) mit PoC-Schauspielern – müsste man dann  nicht eine der wenigen PoC-Rollen – die des Generals Othello – unbedingt mit einem PoC-Schauspieler besetzen?

Die Gegendiskussion, die vor allem in den USA viel debattiert wird, umreißt die Problematik auch von einer anderen Seite: Werden die rassistischen Zuschreibungen in Shakespeares "Othello" durch die Besetzung eines PoC-Schauspielers nicht dadurch naturalisiert? (Vgl. Dreysse, Miriam: "Wer ist Othello?", in: Bachmann/Kreuder/Pfahl/Volz: "Theater und Subjektkonstitution", Bielefeld: transcript, 2012, 587-601.) So bemerkte z.B. der britische Schauspieler Hugh Quarshie, seinerseits PoC, über das Problem einer authentischen Besetzung: "Riskiert nicht ein schwarzer Schauspieler damit, dass er Othello spielt, rassistische Stereotypen zu legitimieren oder sogar wahr erscheinen zu lassen? Reproduziert nicht ein schwarzer Schauspieler, der eine Rolle spielt, die ursprünglich für einen schwarz geschminkten weißen Schauspieler und für ein hauptsächlich weißes Publikum geschrieben wurde, den weißen, also falschen, Blick auf schwarze Menschen? […] Von allen Rollen des Theater Kanons, ist Othello vielleicht die einzige, die nicht von einem schwarzen Schauspieler gespielt werden sollte."(Zitiert nach Loomba, Ania: "Shakespeare, Race, and Colonialism", Oxford 2002, 110. Dt. vom Verfasser./ Vgl. auch Kolesch, "Wie Othello spielen?", in: Shakespeare-Jahrbuch 152, 87-103.)

Und auch der Schauspieler Michael Klammer sagte in einem Gespräch zu diesem Thema: "Ich würde zum Beispiel, wenn man mir eine Rolle in 'Othello' anbietet, lieber den Intriganten Jago als den Othello spielen. Nach Hautfarbe besetzt zu werden, darauf habe ich keine Lust."

Die Debatte bewegt sich also zwischen Repräsentationskritik und der Naturalisierung von Zuschreibungen und Stigmata und bietet dementsprechend sowohl mit einer white-passing- (weiß erscheinend) als auch mit PoC-Besetzung Anlass für Diskussionen.

"Ich bin nicht, was ich bin" – kann dabei ein Paradigma für einen theatralen Umgang mit dem aufgeladenen Stoff bieten. Rassismus – Thema in Shakespeares Othello - funktioniert gerade über Mechanismen der Stigmatisierung und Zuschreibung und produziert so ein Zerrbild, das nichts mit der Realität, sondern vielmehr mit einer "pathologische Fixierung" (Mbembe, Achille: "Kritik der schwarzen Vernunft". Berlin: Suhrkamp, 2017.) zu tun hat; kurz: ein "Phantasiegebilde" (Ibid.), das nicht ist, was es ist.

Auch Schauspieler*innen sind auf der Bühne nicht, was sie sind, sondern sie repräsentieren ein künstlerisches Abbild der Wirklichkeit, eine eigene Welt, eine Fiktion. Verwandlung und Zuschreibung spielen dabei eine ebenso große Rolle wie Abstraktion und verweisen auf die grundsätzliche Möglichkeit von Kunst, etwas anderes darzustellen als das, was ist. Theater war und ist immer Verwandlung der Realität in eine Möglichkeit, die Realität mit anderen Augen sehen zu können.

Dass die Lust an der Verwandlung auch Widerspruch hervorgerufen hat, gehört zur langen Geschichte des Theaters, das immer wieder mit Einschränkungen und Forderungen konfrontiert war, welche Figuren überhaupt auf einer Bühne auftreten dürfen, und wem es erlaubt ist, diese zu spielen. Die Entwicklung, die die Kunst des Schauspielens genommen hat, hat auch und vor allem damit zu tun, dass in einer offenen Gesellschaft, jeder alles spielen kann und darf. Über diese Freiheit kann gestritten werden – aber sie ist das schlagende Herz des Theaters. Entscheidend ist, wie ein Schauspieler oder eine Schauspielerin mit ihren darstellerischen Mitteln eine Rolle so spielt, dass die Figur in ihrer Komplexität für die Zuschauer erfahrbar wird.

Diese Kunst der Darstellung bekommt dann eine politische Dimension, wenn die Rollen und ihre Konflikte auf Machtzusammenhänge und ihre strukturellen Ursachen verweisen. Das Berliner Ensemble ist das Theater Bertolt Brechts. Er hat durch seine Befragung der Theatermittel eine Revolution des Dramas und der Schauspielkunst ausgelöst. Was unter dem Begriff der "Verfremdung" allgemein bekannt ist, ist der Versuch, die Verhältnisse so vorzuführen, dass sie gerade nicht wie Natur erscheinen, sondern immer als von Menschen Gemachte sichtbar werden. Der Schauspieler "ist" nicht seine Figur, sondern er führt sie spielend vor.

Bertolt-Brecht-Platz 1
10117 Berlin
Kontakt & Anfahrt

Theaterkasse

+49 30 284 08 155
theaterkasse@berliner-ensemble.de

Der reguläre Vorverkauf für alle Vorstellungen bis 2. Dezember 2024 startet am 4. Oktober um 10 Uhr. Unsere Theaterkasse hat montags bis samstags von 10.00 Uhr bis 18.30 Uhr für Sie geöffnet.