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Im Loop der 80er-Jahre?

Alex Wissel bewegt sich interdisziplinär durch die Künste – er malt, gestaltet Räume und Bühnenbilder, bindet Elemente früherer Arbeiten in aktuelle Ausstellungen ein, um diese laufend weiterzuentwickeln. Seit September ist seine Ausstellung "Die geistig-moralische Wende" im Rahmen von Kunst im Foyer im Neuen Haus zu sehen. Hier beschäftigt er sich mit verschiedenen Protagonist:innen der 80er-Jahre, dem Historikerstreit und der Frage, wie rechte Strukturen sich seit Jahrzehnten festsetzen.

Alex Wissel, Nico Damian Lenz, Sascha Hermann (Fotos), Inke Johannsen | 17.09.25
Bertolt-Brecht-Platz 1
10117 Berlin
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Der reguläre Vorverkauf für Oktober bis einschließlich 7. November läuft! Unsere Theaterkasse hat montags bis samstags von 10.00 Uhr bis 18.30 Uhr für Sie geöffnet.

Lieber Alex, magst du uns erzählen, wie du arbeitest und womit sich deine Ausstellung auseinandersetzt? 

 

Ich arbeite meist mit Kulturgeschichte und parallel in verschiedenen Werkgruppen, in denen ich ein Thema über unterschiedliche Medien und Ausstellungen hinweg vertiefe. In dieser Ausstellung geht es um die Frage, ob und wie viele politische Prozesse, die in den 80er-Jahren angefangen haben, heute nachwirken. 1986 gab es den sogenannten "Historikerstreit" in Westdeutschland: die Debatte, ob es nicht einen Schlussstrich geben sollte unter der Beschäftigung mit der Nazi-Vergangenheit. Der Philosoph Jürgen Habermas hat innerhalb dieser Diskussion eine recht wichtige Rolle gespielt, die wesentlich zur offiziellen deutschen Erinnerungskultur beigetragen hat. Habermas habe ich hier auch mehrfach diskutierend auf Raufaser gemalt. 


Es geht in der Ausstellung aber auch um die Kehrseite oder den Preis dieser offiziellen Erinnerungskultur. Oder sagen wir es direkt: Um das obsessive Hitler-Bild der Deutschen, das sich seither entwickelt hat. Und um die Frage, ob da vielleicht nicht etwas kanalisiert worden ist ob da vielleicht auch eine verdrängte Schuld abgewandt worden ist, indem Hitler so eine große mediale Präsenz bekommen hat. Beispielhaft habe ich hierfür eine Pappmaché-Pestbeule mit den gesammelten Werken vom ZDF-Historiker Guido Knopp ausgestellt und einige Bilder, auf denen Filmstills in denen Bruno Ganz als Hitler in Bernd Eichingers Drama "Der Untergang" abgezeichnet ist, mit Unterschrift des Produzenten.  

 

Ich denke auch mithilfe dieser medialen Ersatzhandlungen gibt es im Moment eine Art Loop: Björn Höcke von der AfD hat 2017 in einer Rede eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert und damit Themen aufgegriffen hat, die Helmut Kohl in seiner "geistig-moralischen Wende" von 1982 vorbereitet hat. Mittlerweile führen in Umfragen AfD und CDU mit etwa gleichvielen Stimmen. In den 80ern, in der Postmoderne, gab es sozusagen eine Renaissance des rechten Denkens, innerhalb der sich im Spiel mit Zeichen und Attitüden auch faschistische Zeichen direkt wieder entleert haben, was mittlerweile eine identitäre Strategie ist. 

Das sind ein paar angerissene Themen meiner Ausstellung und im Idealfall kommen wir dadurch ins Gespräch.

Wenn wir uns hier im Foyer des Neuen Hauses umschauen, dann sehen wir nicht nur deine Bilder an den Wänden, sondern auch einige Objekte im Raum. Wonach hast du die Auswahl getroffen?

 

In diesem Jahr habe ich mich, wie gesagt, mit dem Historikerstreit und dessen Nachwirkungen beschäftigt, die Bilder, die wir hier sehen, sind alle in diesem Rahmen entstanden. Die Pestbeule zwischen Bar und Treppe ist etwas älter. Sie ist 2019 innerhalb einer Werkgruppe entstanden, in der ich mich mit dem Rechtsruck beschäftige. Sie verändert sich konstant: Ganz am Anfang bestand sie aus Styropor und Pappmaché, jetzt wird sie mit jeder Ausstellung, parallel zur politischen Wirklichkeit, "realistischer". Sie ist immer mit den Themen verknüpft, mit denen ich mich befasse – dieses Mal sind beispielsweise die gesammelten Werke von Guido Knopp mit eingebaut. 
Außerdem hängt ein großer Pfeil von der Decke, der Teil eines Bühnenbilds war, das ich für das Düsseldorfer Schauspielhaus entworfen habe. Das war eine Inszenierung von Klaus Manns "Mephisto", innerhalb der es um die Frage ging, wie sich die Kulturszene verhält, wenn Faschismus an die Macht kommt. 
 

Das letzte große Objekt ist ein Grabstein. Was hat es damit auf sich?


Das ist der Grabstein des Künstlers Martin Kippenberger, und dient als Display für die Skizze eines Films, die ich mit dem Regisseur Jan Bonny stetig weiterführe. Wir treffen uns in unregelmäßigen Abständen und kommen mit Leuten ins Gespräch. Manchmal spielen wir dann auch mit Schauspieler:innen imaginierte Erlebnisse nach, die seit den 80er-Jahren passiert sind. Der Film ist also eine Geschichtswerkstatt – innerhalb der wir eine alternative Form von Geschichtsschreibung erproben. Wir hoffen, dass er in etwa zwei Jahren fertig wird. Wer mag, kann sich gerne daran beteiligen. Meine Email Adresse ist: a.wissel@posteo.de
 

Falls Sie sich zu den Themen der Ausstellung weitergehend belesen möchten, finden Sie hier eine Linksammlung: 
 

Zur Kritik am "Historikerstreit": https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/archiv/534608/zur-kritik-des-historikerstreits/ und https://geschichtedergegenwart.ch/vergleiche-vergleichen-vom-historikerstreit-zur-causa-mbembe/

Kritische Anmerkungen zu dem Film "Der Untergang": https://www.erinnern.at/themen/e_bibliothek/Filme%20und%20Fotos%20im%20Unterricht/550_DIE%20ZEIT.pdf/view

 

Literarische Quellen, die der Künstler für seine Arbeiten verwendet hat: 


Torben Fischer, Matthias N. Loren (Hrsg.), Lexikon der "Vergangenheitsbewältigung" in Deutschland, Bielefeld, 2009
Susanne Kippenberger, Kippenberger: Der Künstler und seine Familien, Berlin 2007
Max Czollek, Versöhnungstheater, München 2023
Jürgen Habermas, "Es musste etwas besser werden ...", Gespräche mit Stefan Müller-Doohm und Roman Yos, Berlin 2025.
Susan Sontag, Syberberg´s Hitler, New York, 1980 
Philipp Felsch: Der lange Sommer der Theorie: Geschichte einer Revolte, 2015 
Michael Rothberg: Multidirektionale Erinnerung: Holocaustgedenken im Zeitalter der Dekolonisierung, Berlin 2021
Katja Eichinger, BE, Berlin 2012