WORX

Ein Meilenstein für einen queeren Kanon

Jules Head ist Teil des diesjährigen WORX-Jahrgangs und hat gemeinsam mit Leo Lorena Wyss den Roman "Das Archiv der Träume" von Carmen Maria Machado für die Bühne bearbeitet. Welches Gewicht die Sprache im queeren Kontext hat, welche Handgriffe bei einer Adaption wichtig sind und in welcher Verantwortung die beiden sich mit ihrer Arbeit sehen, erfahren Sie im Interview. 

Jules Head, Leo Lorena Wyss und Inke Johannsen | 11.12.25
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Gemeinsam habt ihr "Das Archiv der Träume" adaptiert. Wie kam es zur Stoffauswahl und wie habt ihr zueinander gefunden?


Jules Head: Ich habe Carmen Maria Machados Roman vor ein paar Jahren gelesen, ich fand ihn toll und wollte ihn unbedingt auf einer Theaterbühne sehen: Mir erschien es nur logisch, den Text für die Bühne zu adaptieren. In England gehört "Das Archiv der Träume" zum queeren Kanon und gehört in das Repertoire im Diskurs um queere Literaturen. Ich habe die Idee dann aber erst einmal fünf Jahre lang ruhen lassen, weil ich dachte, dass es bestimmt umständlich sei, die Aufführungsrechte für den Roman zu bekommen. Für die Bewerbung für das WORX-Programm habe ich die Idee wieder aufgenommen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es klappt, aber dann habe ich von der Produktionsassistentin des WORX-Programms, Kathinka Schroeder, den Kontakt von Leo Wyss bekommen, um den Roman zu adaptieren. Und hier sind wir nun.

Leo Lorena Wyss: Ich war bereits vor dem Projekt großer Fan von Carmen Maria Machado, kannte ihre Kurzgeschichten und hatte auch "Das Archiv der Träume" schon gelesen. Das Buch war für mich persönlich extrem wichtig – ein richtiger Meilenstein für einen queeren Kanon, wie Jules sagt. Als die Anfrage für das Projekt kam und wir uns bei einem ersten Treffen über Jules‘ inhaltliche und ästhetische Vorstellungen für die Adaption unterhalten haben, wusste ich schnell, dass das ein guter Match sein könnte – nicht zuletzt, weil wir beide großes Interesse daran hatten, die Bühnenfassung in einem engen kollaborativen Prozess zu entwickeln. 



Wie seid ihr die Arbeit an der Adaption angegangen?


Leo Lorena Wyss: Zunächst einmal haben wir sehr viel über den Text als auch das Thema Gewalt und Missbrauch in queeren Beziehungen ausgetauscht, uns gegenseitig auf weitere Literatur aufmerksam gemacht, Links zu Artikeln und Podcasts geschickt und Gespräche mit Psycholog:innen geführt. In einer weiteren intensiven Arbeitsphase haben wir anschließend gemeinsam mit dem Dramaturgen Lucien Strauch an einer grundlegenden Struktur, an einem dramaturgischen Bogen für den Abend gearbeitet. Dabei sind wir zu dem Entschluss gekommen, die Anlage des Romans in seiner Aufteilung in einzelne Kapitel beizubehalten. 

Jules Head: Zu dritt sind wir Kapitel für Kapitel durchgegangen und haben überlegt und diskutiert, welche davon Teil der Bühnenfassung werden sollen. Bei manchen Kapiteln waren wir uns schnell einig. Dann gab es andere Kapitel, von denen ich dachte, sie seien zu langweilig und dann legte Leo aber Veto ein, weil sie literarisch so spannend sind. Es war total schön, dass wir unser eigenes Verhältnis zu dem Buch haben und gleichzeitig aus zwei Perspektiven, sowohl mit Regie als auch mit Textblick, darauf schauen konnten. Dazu kam, dass Leo das Buch sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch gelesen hatte und abgleichen konnte. Wenn ich also meinte, einen fantastischen Satz gefunden zu haben, sagte Leo manchmal, dass er im Deutschen zu kitschig klingt. Oder dass ein gewisser Satz in einer Bühnensprache keinen Sinn ergebe. 

Leo Lorena Wyss: Das Verhältnis von Zuschauer:in und Text ist ein anderes als von Leser:in und Text. Im Theater gibt es immer auch eine nicht-verbale Ebene – Körper, Sound, Bühnenbild, Kostüm. Das ändert viel an der Art und Weise der Informationsvergabe auf Ebene des Textes. 


Wie seid ihr mit der Zweisprachigkeit und den entsprechenden Übersetzungen umgegangen?


Leo Lorena Wyss: Ich habe die Bühnenfassung ausgehend von der deutschen Übersetzung des Romans auf Deutsch geschrieben und mithilfe des englischen Originals wiederum ins Englische übersetzt, damit Jules sie lesen kann. 

Jules Head: Leo ist ein magisches Einhorn, das gleichzeitig in zwei Sprachen arbeitet. Dabei mussten wir immer wieder feststellen, dass sich Sprichwörter nicht gut übersetzen lassen oder dass es eigentlich um den Klang bestimmter Worte geht. Carmen Maria Machado spielt zum Beispiel viel mit Liedern. 

Leo Lorena Wyss: Genau, sie arbeitet viel mit Rhythmus und Wortspielen, die in der Übersetzung leider schnell ihre Bedeutung verlieren. Wir haben versucht, einen Weg zu finden, den Ton Machados ins Deutsche zu übertragen, und dabei gleichzeitig eine Sprache zu finden, die für die Bühne geeignet ist, die an gewissen Stellen wörtlicher, dialogischer funktioniert als der Roman das tut. 

Welchen Stellenwert hat die Verwendung von queeren Codierungen in eurer Textarbeit?


Leo Lorena Wyss: Wir sind im Prozess immer davon ausgegangen, dass wir für ein queeres Publikum schreiben, das die Nuancen, mit denen wir balancieren, versteht. Man muss sie nicht alle entschlüsseln können, aber die Codes sind dem Text eingeschrieben und richten sich sehr an ein queeres Publikum. Das wollten wir auch in unserer Fassung beibehalten. Das hier ist ein Abend für queere Menschen von queeren Menschen.

Jules Head: Es geht ja um Folgendes: Man kann natürlich in einer gesunden und wundervollen Beziehung oder in einer ganz langweiligen Beziehung sein. Aber es kann auch passieren, dass man in eine furchtbare, gewaltvolle Beziehung gerät. Es ist wichtig, dass wir darüber sprechen, dass diese Mechanismen existieren und nicht nur in heterosexuellen Beziehungen passieren. Carmen Maria Machado sagt im Buch auch, dass es immer leichter ist, einen Bösewicht zu haben, obwohl die meisten Situationen viel komplexer und komplizierter sind. 
Für mich wäre es fantastisch, kämen viele queere Menschen in die Inszenierung. Außerdem würde mich in anschließenden Gesprächen interessieren, ob sie selbst einen Bezug zum Buch haben.

 


Eure Arbeit erfordert auch eine hohe Sensibilität für den Text und das zukünftige Publikum. Wie geht ihr damit um?


Leo Lorena Wyss: Uns war es sehr wichtig bei der Erstellung der Fassung immer den konkreten Bedingungen des Theaterraums mitzudenken. Wir haben uns viele Gedanken dazu gemacht, wie viel von der teilweise sehr explizit beschriebenen Gewalt in der Bühnenfassung landen wird – als Zuschauer:in kann man sich, anders als als lesende Person, nicht einfach entschließen, die Geschichte kurz beiseite zu legen. Man kann sich nicht entziehen.

Jules Head: Genau, als Publikum hat man weniger Handlungsspielraum als als Leser:in. Selbstverständlich werden wir die Gewaltakte selbst nicht auf der Bühne zeigen, aber natürlich werden wir das thematisieren. Wir müssen aber sensibel dafür sein, dass bestimmt einige Zuschauer:innen einen Bezug zu sich selbst herstellen, weil sie selbst ähnliche Erfahrungen machen mussten. 

Leo Lorena Wyss: Wir haben uns viel über das Prinzip der Zeug:innenschaft unterhalten. Uns lag es sehr am Herzen, das für die Erzählstimme im Roman - und generell für von Gewalt betroffene Personen - so wichtige "Ich glaube dir" in den Vordergrund zu stellen und damit im Akt des gemeinsamen Erzählens selbst eine Form von agency zu finden.