Das Berliner Ensemble ist schuld. Das Berliner Ensemble mit seinem Gastspiel „Königreich der Geister“ im Jahr 2022 ist schuld, dass ich mich mit Ruth Berlau beschäftigen musste. Dass ich sie entdecken und wieder loswerden musste. Ruth Berlau ist eine der Frauen aus dem Brecht-Universum, die für den Dramatiker gearbeitet und sich gleichzeitig in einer Liebesbeziehung mit ihm befunden haben. Wer aber war diese Ruth Berlau, wenn wir sie nicht über Brecht definieren?
Wie der Geist von Hamlets Vater kam sie über mich und verlangte – nein, keine Rache – aber so etwas wie Gerechtigkeit. Doch was ist Gerechtigkeit? Ich zaudere. Ich bin gewillt, die Aufgabe anzunehmen, allein mir fehlt der Glaube, dass es möglich ist, sie auch zu erfüllen. Zu viel Spekulation ist im Spiel, zu viel bereits durch häufiges Wiederholen festgeschrieben. Ich mache es wie Ruth Berlau und denke mir die Geschichte aus, wie sie hätte sein können. Dabei muss ich mich zunehmend zu ihr in Beziehung setzen, mich abgrenzen. Wie viel Skepsis verträgt eine positive Erzählung?
Ich entscheide mich für größtmögliche Transparenz. Je mehr ich über sie und von ihr lese, desto unsicherer werde ich, was ich ihr zuschreiben soll, zuschreiben darf. Also kennzeichne ich das, was ich assoziiere, und halte meine Leseerlebnisse fest. Sie schwanken zwischen Begeisterung und Irritation. Der Text wird zu einer persönlichen Auseinandersetzung. Das Fazit: egal, wie sehr sie mich auch manchmal nervt – sie war eine außergewöhnliche Frau. Sie hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor, war temperamentvoll und ambitiös. Sie glaubte, mit Brecht einen Mentor gefunden zu haben. Sie ahnte nicht, dass er nicht die Absicht hatte, einer zu sein.