Zukunft beginnt nicht einfach irgendwann – sie wird heute möglich gemacht. Genau das beweisen Formate wie TalentLAB an den Théâtres de la ville de Luxembourg oder WORX am Berliner Ensemble. Beide Programme teilen eine Überzeugung: Kunst entsteht aus Vertrauen, Risikobereitschaft und der Erkenntnis, dass das Wagnis des Anfangens wertvoll ist.
Seit zehn Jahren unterstützt TalentLAB junge Künstler:innen an einem der fragilsten Punkte ihres Schaffens: dem Moment der ersten Ideen und dem Berufseinstieg. In einer Welt, die sich zunehmend polarisiert und in der das Misstrauen wächst, ist diese Geste – einen offenen Raum zu schaffen – keine Selbstverständlichkeit. Sie ist eine politische Entscheidung für Freiheit, für Vielfalt der Perspektiven und für Mut.
Am Berliner Ensemble haben wir mit WORX, dem internationalen Nachwuchsprogramm für junge Regie, 2022 einen ähnlichen Ort geschaffen: Pro Jahr bekommen zwei Regiekünstler:innen für eine Spielzeit die Möglichkeit, den Werkraum zu ihrem Zuhause zu machen. Jeweils zwei Inszenierungen sowie künstlerische Formate wie Lesungen, Performances und Diskursformate entstehen – oft abseits der etablierten Wege, getragen von der Lust am Experiment, an der Reibung, am Neudenken, am Sich-Ausprobieren. Und genau wie bei TalentLAB glauben auch wir: Künstlerische Prozesse brauchen Räume, in denen Scheitern nicht als Makel, sondern als Möglichkeit verstanden wird. In Luxemburg und Berlin wollen wir ein Klima schaffen, in dem künstlerische Entwicklung entstehen kann und der Theaterraum zu einem Spielraum wird. Die Theatermacher:innen von morgen experimentieren, arbeiten mit Ensemble und Dramaturgie zusammen – manchmal auch gegen die Struktur, gegen das System, gegen gewöhnliche, althergebrachte Reflexe und Mechanismen – für neue Wege. Das Theater als Ort der Reibung und der Auseinandersetzung, als Schutzraum und Experimentierlabor.
Die Leiterin des europäischen Festivals für junge Regie FAST FORWARD, Charlotte Orti von Havranek, hat kürzlich daran erinnert, wie sehr diese Räume heute unter Druck geraten. Ohne Labore, ohne freie Räume für das Unfertige, gibt es keine neuen Antworten auf eine sich rasant verändernde Welt. Wer nicht mehr experimentiert, agiert bald mit den Strategien von gestern auf die Fragen von morgen – und verliert damit seine Anschlussfähigkeit an das Hier und Jetzt.
Wenn wir also anlässlich des zehnjährigen Bestehens des TalentLAB in die Zukunft blicken, wird vor allem eines dringend notwendig sein: Vertrauen. Und Räume, die nicht verwaltet, sondern gestaltet werden. Förderstrukturen, die nicht nur Projekte, sondern Prozesse unterstützen. Programme, die Diversität ernst nehmen, nicht nur auf dem Papier, sondern in ihrer ganzen strukturellen Tiefe – in künstlerischen Perspektiven, Produktionsformen und Narrativen, in Ästhetiken und Themenauswahl. Wir brauchen auch für die kommenden zehn Jahre Formate, die Mobilität und Nachhaltigkeit klug miteinander verbinden. Künstlerische Residenzen, die europäischen Austausch möglich machen, ohne die ökologische Bilanz aus dem Blick zu verlieren. Vor allem aber werden wir mehr Mut brauchen: Mut, Projekte zu unterstützen, die nicht auf schnelle Effekte abzielen. Mut, Räume für Dialog zu schützen, auch wenn – oder gerade weil – sie unbequem sind. Und Mut, Künstler:innen als notwendige Mitgestalter:innen unserer Gesellschaft zu verstehen, nicht als dekoratives Beiwerk.
Meine Vision: Ein Theater der Zukunft als ein Theater des Austauschs. Ein Theater, das nicht auf Antworten setzt, sondern auf die genaue Formulierung von Fragen. Ein Theater, das gesellschaftliche Komplexität nicht glättet, sondern sichtbar macht. Ein Theater, das immer wieder neu die Freiheit verteidigt, anders denken, fühlen und erzählen zu dürfen.
TalentLAB, WORX und viele andere Initiativen sind heute schon solche Orte, an denen diese Zukunft erprobt wird. Labore, an denen künstlerische Praxis nicht als Luxus, sondern als Notwendigkeit begriffen wird. Räume, die uns daran erinnern: Ohne das Experiment bleibt Gesellschaft statisch. Ohne Nachwuchs wird sie stumm.
TalentLAB lebt diese Haltung seit Jahren auf beeindruckende Weise: Begegnung statt pure Effizienz, Austausch gepaart mit einer Lust auf Risiko. So entstehen Räume, in denen Künstler:innen sich nicht anpassen müssen, sondern wachsen dürfen – auch in Widersprüchen. Ich bin überzeugt: Die wichtigsten theatralen Erzählungen von morgen entstehen in den Räumen, die wir heute schützen, öffnen und mit Leben füllen.
Herzlichen Glückwunsch, TalentLAB – auf die nächsten zehn Jahre Experimente, Aufbrüche, Ausbrüche und neue Geschichten. Das Programm WORX freut sich, seit diesem Jahr Partner der internationalen Familie zu sein.
Der Text wird in einer Publikation anlässlich des 10-jährigen Jubiläums des TalentLAB veröffentlicht.
Daniel Grünauer, "Zukunft als Experimentierräume", in: TalentLAB-10 ans de recherche, de transmission et de partage, Luxemburg: Hydre Editions.
Dieses Partnernetzwerk, das noch erweitert werden soll, vereint bis heute: Complicité / Vereinigtes Königreich, The Centre for the Less Good Idea / Südafrika, Ballet du Nord CCN Roubaix Hauts-de-France / Frankreich, Théâtre du Nord Centre Dramatique national Lille Tourcoing Hauts-de-France / Frankreich, Berliner Ensemble / Worx - Internationales Residenzprogramm für junge Regie / Deutschland, Staatstheater Mainz / Deutschland, Passages Transfestival / Frankreich, The Royal Ballet and Opera / Jette Parker Artists Programme / Großbritannien
Diese Partner werden dazu beitragen, den Werdegang der Künstlerinnen und Künstler zu dynamisieren, die Möglichkeiten für internationale Vernetzungen und Übertragungen zu stärken, um die Produktionsperspektiven der im TalentLAB entstandenen Projektmodelle zu entwickeln.
Die Théâtres de la Ville pflegen internationale Partnerschaften mit anderen europäischen Häusern und haben ein Koproduktionsmodell entwickelt, das auf Austausch und Ausbildung basiert. Diese Strategie, die Eigenproduktionen mit internationalen Koproduktionen und einer starken Unterstützung für Künstler verbindet, hat es den Théâtres de la Ville ermöglicht, ihre Sichtbarkeit als Produktionsstätte sowohl in der Großregion als auch darüber hinaus zu erhöhen und immer bedeutendere Beziehungen zu ihren Partnern aufzubauen. Das TalentLAB, ein Projektlabor und multidisziplinäres Festival, war eine erste Initiative, die 2016 ins Leben gerufen wurde, um die Unterstützung für lokale Künstler weiter auszubauen und den internationalen Austausch zu fördern. Seitdem hat es sich zu einer lebendigen Plattform für nationale und internationale Künstler entwickelt, die dem Experimentieren in einer sicheren Umgebung Raum und Zeit gibt.
In diesem Jahr feiern TalentLAB sein zehnjährige Bestehen: zehn Jahre voller Aufführungen, Begegnungen und Austausch. Seit seinen Anfängen im Jahr 2016 hat sich dieses Projektlabor und Festival zu einem echten künstlerischen Knotenpunkt entwickelt, an dem sich Disziplinen, Ideen und Generationen begegnen