Die Figur der Medea ist kanonisch für einiges bekannt – meist gilt sie als Kindsmörderin, als Verzweifelte, Verstoßene und Wahnsinnige. Ihre Rebellion vernichtet. Auf der Argo von Kolchis nach Korinth verschifft, auf der Suche nach dem goldenen Vlies mit Jason verheiratet, betrogen und verstoßen worden, geht sie als eine Art Racheengel in die Geschichte ein, die die Geliebte ihres Mannes vergiftet, ihre Söhne tötet, um wiederum der Rache der Korinther zu entgehen. Doch eigentlich ist Medea in all ihrer Tragik eine Kämpferin gegen das Patriarchat und das Unrecht, das ihr innerhalb eines Systems widerfährt, das sich aus Gewalt zusammensetzt und -gehalten wird. Von ihrer Identität als Heilerin und Priesterin wendet sie sich jäh ab, verrät Herkunft und Heimat, um Ehefrau, Mutter und nicht zuletzt Griechin zu werden. Schließlich, an den Abgrund getrieben, muss sie sich erneut daraus emanzipieren. Unbehelligt geht sie nach ihrer Tat, am Ende der Erzählung, als Heilerin nach Athen, das zur Zeit der Tragödiendichter eine herausragende Stellung als führendes Zentrum von Demokratie, Kultur, Philosophie und Kunst einnahm. Um eine andere zu werden, verkörpert Medea das Prinzip des radikalen Wandels. Dessen Tragik besteht darin, dass er in einem von Gewalt durchzogenen System nur um den Preis von Gewalt gegen andere und sich selbst zu erreichen ist.
2019 war die Produktion in Batumi zu Gast und wandelte auf den Pfaden des Mythos. Heute steht in Batumi, Georgien, der Herkunftsstadt Medeas, ein großes Medea-Monument auf dem Europaplatz, was in Zeiten der massiven Restriktionen gegen Künstler:innen, die in Georgien unzensiert ihre Kunst zeigen wollen, einen Beigeschmack erhält.

Zu gewaltig ist ihr Herz, es nimmt kein Unrecht hin.
100 Vorstellungen in 13 Jahren bedeuten auch Wandlung: So musste die Bühne, einst in Frankfurt 24 Meter breit und 40 Meter tief, sowohl auf internationalen Bühnen, als auch im Berliner Ensemble auf kleinere Ausmaße angepasst werden. Der große Effekt, dass Constanze Beckers Medea auf größtmöglicher Distanz zum Publikum als kleiner Punkt an einer massiven Mauer zu erkennen war, musste in seinen Dimensionen immer wieder angepasst werden. Das Bühnenbild mit beweglicher Wand beeindruckte auch die Presse:
"[…] Bühnenbildner Olaf Altmann [nutzt] die gewaltigen Dimensionen der Frankfurter Bühne, um die Protagonisten zu zerstreuen und flüchtige Konstellationen wie Sternbilder zu schaffen. Auf einem etwa drei Meter hohen Vorsprung am Bühnenende steht Medea, die Hände an die glatte, dunkelgraue Wand gekrallt, als suche sie dort einen Halt." – nachtkritik.de
Beeindruckend ist auch die Rezeption, die die Inszenierung erfuhr. 2013 eröffnete "Medea" das 50. Theatertreffen und war ausschlaggebend für Constanze Beckers Auszeichnungen als beste Schauspielerin mit dem FAUST Theaterpreis. Constanze Becker wurde zudem für ihre herausragende schauspielerische Leistung der Medea mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring ausgezeichnet – dem wichtigsten Preis für Theaterschauspieler:innen innerhalb Deutschlands, der seit 1986 von der Ringelbandstiftung und der Akademie für Darstellende Künste vergeben wird.
Sie sei "für große dramatische Rollen prädestiniert", begründete die Jury. Auch die Besetzung hat sich im Laufe der vergangenen Jahre verändert, dennoch ist ein Großteil bis heute gleich geblieben: Seit der Premiere 2012 spielen Constanze Becker, Bettina Hoppe, Martin Rentzsch, Marc Oliver Schulze, und Josefin Platt. Die Rollen von Michael Benthin und Viktor Tremmel wurden inzwischen von den Ensemblemitgliedern Oliver Kraushaar und Gerrit Jansen übernommen.
Die 100. Vorstellung findet in Berlin statt – einige an der Produktion beteiligte Kolleg:innen erinnern sich an Anekdoten wie nicht fahrende Wände, improvisierte Handylichtzeichen zur falschen Zeit am rechten Ort, daran, dass die Bühne vor jeder Vorstellung frisch schwarz gestrichen werden musste, an Komplikationen an Flughäfen auf dem Weg zu Gastspielreisen und an die großen Momente der gemeinsamen Begegnung und des Austausches, die sie mit 100 Vorstellungen von "Medea" verbinden.