Die Verdammten

Nach dem Film von Luchino Visconti
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Mit "Die Verdammten" wollte Visconti einen modernen Macbeth schaffen. Entstanden ist die verstörende Analyse einer korrumpierten Industriellenfamilie vor dem Hintergrund einer noch größeren Tragödie: dem Verfall einer ganzen Gesellschaft, die sich vom Nationalsozialismus überwältigen lässt. Worin bestand für die Eliten die politische und ästhetische Faszinationskraft dieser menschenverachtenden Ideologie? Was waren die Folgen dieser fatalen Verquickung von persönlichen Karriereinteressen, wirtschaftlichem Erfolg und autoritärer Machtpolitik in instabilen Zeiten?

David Bösch, der seit einigen Jahren auch erfolgreich an großen Opernhäusern in München, Dresden, Antwerpen und London inszeniert, wird Viscontis verstörende Analyse einer korrumpierten und politisch instabilen Gesellschaft in einer Welt des Umbruchs in Szene setzen.

 

Als Luchino Visconti 1968 in Die Verdammten den Fall der deutschen Industriellen­familie Krupp und die Stimmung des aufkommenden Nationalsozialismus in den Drei­ßigerjahren aufgriff, erschien es ihm, dass diese „Geschichte von Gewalttätigkeit, Blut und bestialischem Willen zur Macht, zum Zeugnis und Dokument einer noch immer aktuellen Realität werden könnte.“ In seinen Augen war der Faschismus immer noch nicht tot. Sein künstlerisches Interesse richtete sich in der Folge auf die Untersuchung des faschistoiden Bewusstseins, auf kulturelle Strömungen, Familienstrukturen und Geschichten, die un­missverständlich vom Verfall einer Gesellschaft, eines politischen Systems und der Um­kehr humanistischer Werte erzählen.

Vor dem Hintergrund von Hitlers Machtübernahme in den Jahren 1933/34 erzählt Visconti nach dem Grundmuster von Shakespeares Macbeth die Geschichte vom buchstäb­lichen und moralischen Ausverkauf eines waffenproduzierenden Familienunternehmens an den Nationalsozialismus. Historische Ereignisse wie der Reichstagsbrand, die Bücher­verbrennung oder die sogenannte „Nacht der langen Messer“, in der Hitler am 30. Juni 1934 in Bad Wiessee die SA­Führung sowie zahlreiche andere Konkurrenten um die Macht ermorden ließ, werden vermischt mit dem fiktiven Schicksal der Protagonisten der Fami­lie von Essenbeck. Visconti richtet den Blick sowohl auf familiäre Strukturen als auch auf die gesellschaftspolitischen Ereignisse und versucht, Verbindungen aufzuzeigen zwischen unternehmerischen Interessen, autoritärem Machtstreben, narzisstischer Selbstbezogen­heit, moralischer Dekadenz und politischem Opportunismus. Mit der Verlegung des Shakespeare’schen Dramas in den Nationalsozialismus und das Milieu der Wirtschafts­elite vollzieht Visconti eine kühne kulturelle Kontamination, die weniger in ein Histori­endrama mündet als vielmehr „eine Fabel über den Nazismus“ erzählt, „die man ebenso­gut wie das Geschehen im Macbeth für eine Legende halten könnte“. (Schifano, 1988) Visconti selbst sagte dazu: „Der Film ist kein rein historischer Film, sondern mehr: Ab einem bestimmten Zeitpunkt werden die handelnden Personen geradezu zu Symbolfigu­ren“. Es sind Symbolfiguren einer perversen Ideologie, die Gewalt nicht nur toleriert, sondern fordert; eine Ideologie, die sich auch in den familiären Rivalitäten und Ressenti­ments, in den Perversionen und tödlichen Instinkten, im intimsten Bereich des menschli­chen Erlebens, der Sexualität zeigt. So besteht Viscontis Versuch darin, das Geschehen auf eine erzählerisch selektive und stereotypisierte Weise zu interpretieren, um seinen struk­turellen Kern herauszuschälen.

Gleichzeitig ist La caduta degli dei (dt.: Der Fall der Götter), wie der Film im Original heißt, auch eine marxistische Fabel, die es Visconti erlaubt, sein antikapitalistisches Credo zu bekennen: „Mir scheint, dass die treffendste aller Interpretationen des Faschismus die­jenige ist, die den Faschismus als die letzte Etappe des Weltkapitalismus bezeichnet“. Seit den Forschungen, die der US-­Historiker Henry Ashby Turner 1972 veröffentlichte, gilt die These, dass die deutschen Großindustriellen Hitler mit ihrer finanziellen Unterstützung überhaupt erst an die Macht gebracht hätten, als widerlegt. Vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler floss das meiste Geld aus unternehmerischen Kreisen an konservative po­litische Parteien. Danach änderte sich das allerdings schlagartig: Knapp drei Wochen nachdem Reichspräsident Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannte, lud Göring vierundzwanzig hochrangige Vertreter der Industrie zu einem Treffen mit Hitler ein, um über mögliche Unterstützungen für die nationalsozialistische Politik zu beraten. Kaum ein Name von Rang und Würden fehlte „an den glamourösen Runden Tischen der Ver­mählung von Geld und Politik“, wie sie Éric Vuillard in diesem Heft ab Seite 10 beschreibt.

Visconti wurde derselbe Vorwurf gemacht wie Jean­-Paul Sartre, dem Autor von Die Eingeschlossenen: Er habe Könige und Prinzen der Industrie zu seinen Protagonisten gemacht, die „in der Kriminalität und ihrem totalen Pakt mit dem Bösen ihre finstere Größe finden“. (Schifano, 1988) Sartre hatte sich mit einer Entgegnung verteidigt, die ebensogut zu Viscontis von Essenbecks passt: „Mit diesen Personen konnte ich die grundlegende Dis­krepanz zwischen der industriellen Großmacht dieser Leute, ihren Adelstiteln, ihrer Ver­gangenheit, Gesinnung und ihrer Kultur und demgegenüber ihre Kollaboration mit den Nazis, die sie im Grunde total verachteten, aufzeigen. Auf diese Weise konnte ich das heimliche Einverständnis ihres abgekarteten Spieles deutlich machen. Um die Menschen zu verstehen, ist eine solche Einsicht wichtig.“

Auch gegenwärtig wird immer mal wieder der Vergleich zu den 30er­ Jahren gezogen und danach gefragt, ob Deutschland ein neues 1933 drohe. Die meisten Historiker vernei­nen diese Frage: Geschichte ist nicht in die Gegenwart übertragbar, Unterschiede sind erkennbar. Gleichzeitig aber sind das Ende der Weimarer Republik und ihr Umbau zu ei­nem autoritären Staat historische Erfahrungen, die angesichts gegenwärtiger Ereignisse und Äußerungen angesprochen werden. Was hallt heute im Echo der Geschichte nach? Welche Bündnisse und Mechanismen spielen Autokraten in die Hände? Was macht Men­schen anfällig für autoritäre Strukturen?

Text von Sibylle Baschung

Pressestimmen

"Regisseur David Bösch setzt in erster Linie auf Schauspieltheater - ein Pfund, mit dem man am Berliner Ensemble eigentlich immer wuchern kann."RBB 24

"The star of the evening is the Berliner Ensemble’s astounding new ensemble addition Nico Holonics, who was lured from Schauspiel Frankfurt by the theater’s new artistic director, Oliver Reese. Mr. Holonics, a young Leipzig-born actor, gives a savage, volatile performance as Martin, the amoral, borderline-psychotic scion of the von Essenbeck clan, whose bloody ascent to the top also involves pedophilia and incest."The New York Times

"Bösch fegt am Berliner Ensemble all das Verschwenderische, Schwülstige, allen Kulissenzauber und raffinierten Luxus beiseite, um klarer den politischen Gehalt herauszuschälen."Nachtkritik

"Bösch, ein Regisseur, der auf das Menschliche im Theater setzt, auf Poesie, Atmosphäre, Einfühlung, verzichtet im dunklen, leeren Bühnenraum auffällig stark auf Stimmungen – und konzentriert sich auf seine Schauspieler."RBB Kulturradio

"Holonics stattet die Figur dabei mit so einer hochnervösen Widerwärtigkeit aus, dass Helmut Berger, der die Rolle bei Visconti spielt, dagegen geradezu harmlos wirkt."RBB 24

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