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Ein Duft von Unschärfe und Nichtigkeit

Eine Einführung zum Stück "Drei Mal Leben" von Dramaturgin Sibylle Baschung

Welche Bedeutung und Auswirkungen haben Worte und Taten auf unser konkretes Leben? Darum geht es in Yasmina Rezas Stück "Drei Mal Leben". Die Einführung zum Stück von Dramaturgin Sibylle Baschung.

18.01.20
Bertolt-Brecht-Platz 1
10117 Berlin
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Der Vorverkauf für alle Vorstellungen bis 3. Juni 2024 läuft; der Vorverkauf für Juni/Juli startet am 8. Mai. Unsere Theaterkasse hat montags bis samstags von 10.00 Uhr bis 18.30 Uhr für Sie geöffnet.

Um welches Spiel geht es hier?

"Nichts erhöht und nichts transzendiert. Der Mensch allein entscheidet über das, was er ist", sagt Hubert Finidori im ersten Leben. Hubert gilt als einer der größten Kosmologie-Experten der Welt, ein Naturwissenschaftler, der sich mit nichts weniger beschäftigt als der Frage nach Ursprung, Entwicklung und Beschaffenheit des Kosmos. Welche physikalischen Kräfte entfalten in welchem Zusammenspiel welche Wirkung? Was den zwischenmenschlichen Kosmos und seine Struktur anbelangt, so ist Huberts Sicht darauf – zumindest im ersten Leben – ebenso klar wie der sich daraus ergebende Handlungsleitfaden: "In einem Konkurrenzsystem kommt es nicht darauf an, dass man gute Ideen hat, sondern dass man bei dem Spiel gewinnt."

Und um welches Spiel geht es konkret? Was ist das Ziel? Gibt es neben individuellen Interessen auch gemeinsame? Wie hängt das eigene Wohlbefinden mit dem der anderen zusammen? Welche Kräfte lassen in welchem Zusammenspiel welchen gemeinsamen Raum entstehen? Was und wer erhält wodurch seine oder ihre Bedeutung? Unter welchen Bedingungen entsteht Kollaboration? Zu welchem Zweck? 

"Eine Karriere, das ist ein Schlachtplan." Hubert in "Drei Mal Leben" von Yasmina Reza

Welche Rolle spielen Worte? Sind sie in der Lage, die Atmosphäre zu beeinflussen, Menschen in tiefste Verzweiflung zu stürzen oder sie davon abzuhalten, wie Sonja es behauptet? Welche Bedeutung haben Förmlichkeiten, ritualisierte soziale Verhaltensregeln im Umgang miteinander? Was ermöglichen Konventionen, was verhindern sie? Wie sähe eine Welt aus, in der es nichts und niemanden bloß zu stellen gibt, weil vorher nichts bemäntelt, sondern direkt und klar benannt wird? Was sind zwischenmenschliche Fakten, wohin führt es, sie unumwunden zu benennen? Und welches Potenzial haben die Bereiche, in denen ein "Duft von Unschärfe und Nichtigkeit" im Raum schwebt, wie Sonja es formuliert?

In drei Versionen durchleben vier Menschen eine gemeinsame Situation, drei Mal kämpfen sie in wechselnden Allianzen gegen Bedeutungslosigkeit und Einsamkeit. Drei Mal haben sie, folgt man Huberts Gedankengang, die Möglichkeit zu entscheiden, wer sie sein wollen und welchen Kosmos sie dadurch entstehen lassen – oder nicht?

"Was ändert so ein Äpfelchen am großen Lauf der Welt?" fragt Henri, der Astrophysiker, dessen wissenschaftliche Arbeit den Anspruch hat, etwas zur "Enzyklopädie der Menschheit" beizutragen. Bedeuten wir so wenig im Universum, wie Henri im zweiten Leben sagt, oder gehen wir eher mit Ines, die keinesfalls glaubt, "dass der Mensch ein Nichts im Universum ist"?

Denn: "Was wäre das Universum ohne uns? Ein Ort des Trübsinns, der Düsternis, ohne ein Gramm Poesie"? Hat Ines’ Alkoholpegel eine Bedeutung für diesen pathetischen Satz oder leben sie und Henri bloß in getrennten Welten? Und für wen oder was ist die Laufmasche in Ines’ Strumpfhose von Bedeutung oder die Frage, ob Sonja ihre Gäste im Schlafanzug empfängt oder nicht? Liegen einer erfolgreichen Karriere immer ein strategischer Schlachtplan und glasklare Entscheidungen zu Grunde, wie Hubert es behauptet?

Welche Bedeutung haben Zufall, Unschärfe, Chaos, Traum und Fantasie bei Entdeckungen, die etwas Wesentliches verändert haben? Was hat "Rox und Rouky", die Kindergeschichte über eine Freundschaft von Jäger und Gejagtem damit zu tun, dass das ewig quengelnde Kind von Sonja und Henri im dritten Leben endlich Ruhe gibt? Und was ist eigentlich dieser "Halo", von dem die ganze Zeit die Rede ist?

© Joerg Brueggemann / OSTKREUZ

Ein Essay von Sibylle Baschung.

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