Brecht

Wer war Bertolt Brecht?

Ein historischer Fragebogen von Ruth Berlau zum 60. Geburtstag von Bertolt Brecht

Wussten Sie, was Brecht gerne gegessen hat? Oder: was seine Lieblingsfarbe war? Ruth Berlau hat zu Brechts 60. Geburtstag einen Fragebogen erstellt, in dem auch einige private Details aus dem Leben des Autors beleuchtet werden. Wir haben das historische Dokument für Sie herausgesucht und transkribiert.

von Ruth Berlau | 08.11.23
Bertolt Brecht in einem privaten Umfeld auf dem Bett sitzend

© Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv, Fotoarchiv 01/048, Foto: Zander & Labisch

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Wer war Bertolt Brecht?

Immerfort werde ich gefragt: Wie war Brecht als Mensch? Fragt mich lieber: Wie war Brecht als Arbeiter? Brecht selber meinte, dass es niemand anginge, wie er als Mensch sei: „Nicht mal mich selber geht's an."

Und doch: Wie war er denn? Wo ist er zu finden in seinen Werken? Überall! In jeder Strophe, in jedem Satz. Schrieb er nicht völlig kalt und ohne Gefühl? Nein.

Wie war er denn nun, dieser Bertolt Brecht? Völlig normal. Aber er war doch ein Genie? Ja, aber ein normales Genie, sozusagen: Genie + Marxismus. Ein fleißiges, normales marxistisches Genie.

Da kommen Leute aus aller Herren Länder und fragen: Er hatte doch einen Dreh als Schriftsteller, einen Trick. Wie konnte er so schreiben? Was war er für ein Mensch? Ein Kommunist. Aber was fühlte er, wenn er schrieb? Er sagte dazu: „Ich fühle nur, wenn ich Kopfschmerzen habe, nicht wenn ich schreibe. Dann denke ich nämlich." 

Und was interessierte ihn am meisten? Was war seine Triebkraft? Das hatte ich ihn selber mal gefragt. Er sagte: „Das kann ich mit einem Wörtlein beantworten, einem einzigen: Klassenkampf." Wofür arbeitete er? Für die Unterdrückten, gegen die Ausbeuter. Na, wie war er also? Fleißig. Und? Freundlich. Und? Humorvoll. Und? Normal.

Und welche Probleme, Privatprobleme, hatte er? Mir sagte er, er habe keine. Was soll das alles heißen, er war doch merkwürdig? Ja, merkwürdig normal.

Das einzige, was mir aufgefallen ist: Dass er selbst im härtesten finnischen Winter ohne Handschuhe ging. Er hatte immer warme Hände und liebte die Luft auf Händen und Stirn. Ja, und dann natürlich: Dass er gearbeitet hat, wie kein andrer Mensch, den ich gekannt habe. Er kannte keinen Sonntag, keine Sommerferien, keine Feiertage - aber einen Weihnachtsbaum wollte er haben. 

Blättern Sie selber in den Aufzeichnungen, die ich 22 Jahre hindurch notiert habe. Vielleicht finden Sie ein bisschen heraus, wie er war. Er wußte es nicht.

Brecht und die Höflichkeit

Eines Morgens, als Brecht in seinem Wagen vorgefahren kam, sprang unser Theaterinspizient herzu und öffnete die Wagentür. Brecht nickte freundlich „Guten Morgen" - und stieg zur andern Tür hinaus.

 

Was er hasste

Wenn jemand ihm seinen Mantel hielt.

Wenn jemand ihm Feuer für die Zigarre anbot.

Kämpfe, wer zuerst durch eine Tür gehen soll.


Basis und Überbau

B.: Was haben Sie denn?
W.: Ich habe einen Zahn gezogen bekommen.
B.: Warum?
W.: Das Wurzelbett war vereitert.
B.: Ja, wenn die Basis faul ist, kann der Überbau nicht bleiben.


Streitigkeiten

Brecht stürzte von einer Probe in eine andere.

B.: Warum wird die Szene nicht probiert, die ich angesetzt habe?
REGISSEUR: Die haben wir schon probiert.
B.: Ich habe ausdrücklich angeordnet, dass die erst probiert wird, wenn ich da bin.
REGISSEUR: Ja, aber...
B.: Ich hatte verboten, die Szene ohne mich zu probieren!
REGISSEUR: Ja. Aber die Schauspielerin wollte nach Hause, und...
B.: Hier gibt's keine Primadonna... außer mir!

Seine Wut verschwand in einem verschmitzten Grinsen.

 

Ich

B. meinte immer, dass man in unsrer Zeit nicht isoliert und für sich selber arbeiten könne. Vielmehr: im Kollektiv, in Zusammenarbeit, im Austausch von Gedanken.

Im Schriftstellerverband war das diskutiert worden. Als wir weggingen, sagte B.: „Jedenfalls, wenn ich morgens aufstehe, wer ist dann da? Ich. Wenn ich dann meinen Tee trinke, wer sitzt da? Ich. Wenn ich ein bißchen heruntergeh auf die Straße, wer geht da? Ich. Ich geh wieder nach oben, wer ist schon wieder da? Ich. Na, dann geh ich lieber ins Berliner Ensemble."

 

Sein eigner Sohn

Als B. zurück nach Deutschland kam, aus der langen Emigration, da kannte die junge Generation oft nicht einmal seinen Namen.

Seine Bücher waren verbrannt, er selber von Hitler ausgebürgert. Eines Tages mussten wir irgendwelche Papiere auf irgendeinem Amt abholen, und – wie üblich – uns erst beim Pförtner anmelden, um einen Passierschein zu bekommen. Dieser Pförtner genoss seine Machtstellung ungemein. Er buchstabierte sich langsam durch den Namen Ber—tolt—Brecht, sah B. streng an und fragte: „Sind Sie mit dem Bert Brecht verwandt?" „Ja. Ich bin mein eigner Sohn", antwortete B., griff den Passierschein und mulmelte im Hineingehn: „In jedem Loch sitzt immer noch ein Kaiser Wilhelm."

 

Über das Lehren ohne Schüler

B. war immer der erste morgens im Theater. Er bemerkte genau, wer zu spät kam. Meistens hatte er etwas mit: einen neuen Vers, Änderungen einer Szene, noch einen Vorschlag, wie man den Leuten klarmachen kann, was episches Theater ist. Immer war es für uns alle spannend, was er anbrachte. Die jungen Schüler stürzten sich darüber, wie Spatzen auf die Körner, oder vielmehr - wie B. einmal lachend zu mir sagte - wie Spatzen auf frisch heruntergefallene Pferdeäpfel.

Er rauchte seine Zigarre und wartete, bis man gelesen hatte. Dann fielen sie über ihn her, kritisierten, diskutierten - da war keine „Höflichkeit", keine Schonung und nichts von sogenanntem Respekt.

Denn hatte sie nicht der Meister selbst gelehrt:

„Dort spricht der, dem niemand zuhört:
Er spricht zu laut 
Er wiederholt sich 
Er spricht Falsches
Er wird nicht verbessert."

 

Über das Lachen

Da wurde viel gelacht. Einmal hatte ein Schüler die Aufgabe bekommen, die Schwierigkeiten der „Mutter"-Dekorationen zu beschreiben. Das war nun seine erste Aufgabe bei uns, und die schon in der Brecht-Schule gehärteten Schüler lachten sich halbtot über die hilflose Ausdrucksweise dieses Unglücklichen. Ein Satz wurde hervorgehoben, und B. lachte Tränen darüber:

„Der Ofen in der kleinen Stube der Mutter weitete sich zu einem Problem aus." 

Der ungeschickte junge Schüler versuchte mitzulachen, aber die Tränen waren ihm wohl näher. Da rettete ihn B. mit seiner echten Freundlichkeit. Er zeigte auf ihn, und noch Lachtränen im Auge rief er: „Der, der Über sich selber lachen kann, ist schon ein halber Gott - Gott lacht über sich selbst den ganzen Tag."

 

Bertolt Brecht an seinem Schreibtisch in seiner Wohnung, im Hintergrund ein Bücherregal.

© Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv, Fotoarchiv 01/090, Foto: Elisabeth Hauptmann

Brechts tägliche Sprache

Ein kleines Wörterbuch.

 

Lobwörter

normal
freundlich
nützlich
hilfsbereit
begabt
lustig
echt

 

Schimpfwörter

korrupt
verkauft
Ausbeuter
undialektisch
unmarxistisch


Im Theater

zeigen
ausprobieren
Widerspruch
trocken sprechen
Fabel
warum
warum
und immer wieder: WARUM?

 

Lieblingstier

Sein Hund Rolf

 

Zum Lachen

Junge Katzen, wenn sie lernen

 

Lieblinge

Chaplin
Begabte Schauspieler

 

Die Lieblingsfarbe

grau

 

Ein Portrait von Bertolt Brecht

© Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv, Fotoarchiv 01/081

Lieblingssachen

Essen

Im Frühjahr die jungen Kartoffeln
Spargel mit Essig und Öl
Karpfen aus dem eigenen Teich 
Rindfleischsuppe, frisch „gedichtet"
Spätzle, Klöße
Meerrettich
Käse jeder Sorte und jeder Menge
Himbeeren, Himbeeren - oh, Himbeeren

 

Trinken

Zitronensaft morgens, mittags und nachts
Bier in der abendlichen Stille, endlich ganz allein 
Whisky, aber nur im Londoner Nebel
Tee für die Gäste
Nie und nimmer Wasser
Schnaps notgedrungen, mit verzogenem Gesicht, gegen beginnende Erkältungen 
Bei Champagner schlief der Meister ein

 

Sammlermanie

Hitlerbilder für sein Gangsterstück Ul
Bilder von Gesten
Bilder
Bilder
und immer wieder Bilder

 

Was er gern hatte

Alte Kupfersachen
Alte Uhren
Schöne Pfeifen
Bauernbestecke
Alte Messer
Alte chinesische Teppiche

 

Lieblingsmaterial

Leder
Holz

Was er brauchte

Tische, viele Tische
Schreibmaschine
Leselampe
Viel Licht
Schönes Schreibmaschinenpapier
Scheren zum Bilderausschneiden
Klebstoff zum Montieren

 

Was er noch brauchte

Schüler, viele Schüler
Begabtere Schauspieler
Komponisten
Gespräche
Wissenschaftler
Kriminalromane
Seine Ruhe

 

Was nicht zu vergessen war

Dass ein jung gepflanzter Baum Wasser braucht.
Dass die Vögel im Winter schwer Nahrung finden.
Daß ein Kranker Hilfe braucht, 
Ein Hungriger Essen, 
Ein Frierender Wärme.

Selber trug er das Wasser zum jungen Baum, wenn Schnee fiel, legte er Futter für die Vögel aus und schrieb: „Die Vögel warten im Winter vor dem Fenster." Und er lässt den Sperling und den Buntspecht kommen und für ihre nützliche Arbeit ein Korn bekommen. Aber auch die Kunst wird belohnt:

„Ich bin die Amsel.
Kinder, ich bin am Ende.
Und ich war es, die den ganzen Sommer lang
Früh im Dämmergrau in Nachbars Garten sang.
Bitt' um eine kleine Spende.

Amsel komm nach vorn.
Amsel, hier ist dein Korn.
Und besten Dank für die Arbeit!"

 

Ein Text von Ruth Berlau. Verwendung mit freundlicher Genehmigung von Hilda Hoffmann.

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